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Das erste Mal längere Zeit zu Hause
Nun haben wir schon September und ich bin das erste Mal über eine längere Zeit zu Hause. Angedacht war ja, gleich wieder zurück nach Bad Oeynhausen zur Reha zu gehen, aber, aus welchen Gründen auch immer, klappte es nicht so schnell. Ehrlich gesagt bin ich auch gar nicht böse, denn nach diesen vielen Wochen – immerhin mehr als zwei Monate nur Krankenhaus und Reha – freut man sich, mal wieder Heimat zu schnuppern. Hameln ist meine Heimat, dort bin ich geboren, allerdings lebte ich zuletzt in Steinhagen nahe Bielefeld.

Nachdem mein Engel Dietlind, die mich ja aus der Klinik in Essen abgeholt und mich bei meiner Mutter abgesetzt hatte, saß ich erstmal da und mir wurde klar: “Nicole, es gibt eine Menge zu regeln.“ Puh, Luft holen, da kam so der erste Schock – ich musste irgendwie realisieren, dass ich nun sozusagen ein „Pflegefall“ war. Ich war komplett auf Hilfe angewiesen. Meine fast 80-jährige Mutter nahm mich erst einmal bei sich auf, denn in meine Wohnung nach Steinhagen zurückzukehren – da war überhaupt nicht dran zu denken. Hinzu kam, dass ich dort sowieso schon die Kündigung aufgrund Eigenbedarfs bekommen hatte. Gott sei Dank hatte ich im Vorfeld schon einen Rechtsanwalt aufgesucht, um mich schlau zu machen. So konnte ich diesen kontaktieren, um weiteres zu klären. Da kam plötzlich so Einiges auf mich zu, das es zu klären gab: Bank, Arztwechsel usw. … Ich war wirklich glücklich, dass ich da noch auf mein gutes Organisationstalent zurückgreifen konnte. Himmel sei Dank, was hätte ich alles für Schäden davontragen können. Ich möchte da gar nicht drüber nachdenken, ich hatte mehr als einen Schutzengel.

So standen dann als erstes Arzttermine auf meiner Liste. Nachdem mein alter Hausarzt von früher gleich am nächsten Tag vorbeischaute, ging es dann weiter zum Neurologen und Augenarzt. Ich erledigte alles mit meiner Mutter, die mich samt Rollstuhl und mit dem Bus in die Stadt überallhin begleitete. Beim Augenarzt war erst einmal stundenlanges Warten angesagt, doch ich war ja froh, dass sie mich überhaupt so schnell drangenommen hatten. Ich brauchte zu der Zeit noch Uhrglasverbände, um mein Auge nachts abzukleben, denn durch die Lähmung stand es starr fest in der Mitte. So wird ein Austrocknen des Auges vermieden. Tägliches Augentraining war stets angesagt, um die komplette Muskulatur wieder in Bewegung zu setzen. Ich hatte dadurch auf dem rechten Auge Doppelbilder. Manche Menschen guckten einen wahrlich erstaunt an, als wäre ich ein Außerirdischer, da das Auge ja so unbeweglich feststand und ich anfangs oft noch eine Augenklappe brauchte, um überhaupt mal ein kleines klares Bild zu bekommen. Wobei meine Haare ja immerhin schon ein Stückchen nachgewachsen waren. Bei der Not-OP im Juli rasierte man mir eine Seite ab an der Stelle, wo der Schädel aufgeschnitten wurde. Die Narbe ist ungefähr einen Finger lang, wie eine kleine Mulde, in die der Finger rein passt, doch heute sieht man nichts mehr. Na gut, ich durfte mich jetzt wohl an komische Blicke gewöhnen. Früher ging ich nie ungestylt und ungeschminkt aus dem Haus und jetzt sagte ich mir eben: „OKAY, MUT zur Hässlichkeit ist jetzt Programm.“ Ich konnte es recht leicht und locker nehmen, denn mir machten ganz andere Dinge viel mehr Stress. Vor allem in der Stadt, das Laute, die vielen Menschen und Stimmen – es war grausam, die Hölle. Es war so, als hätte mein Gehirn kein Filter mehr und alles prasselte ungefiltert auf mich ein. Fürchterlich anstrengend. Mein Neurologe machte mir keine Hoffnung, denn für ihn grenzte es an ein Wunder, das ich nur mit meiner Gesichtslähmung betroffen war und so fit im Rollstuhl saß, obwohl das Gleichgewichtsorgan auch betroffen war. Dass ich das so überlebt hätte, das wäre schon ein Geschenk. Geschenk? Ich sollte diese Quälerei als Geschenk ansehen? Na, der hat ja Humor! Zuhause nur mal baden wollen, daran war unter 1-1,5 Stunden gar nicht dran zu denken. Teilweise musste mein Sohn noch mithelfen, mich aus der Badewanne zu ziehen, weil es für meine Mutter zu schwer war.
Du kannst dir das so vorstellen das mein Automatismus komplett gestört war bzw. ja auch noch ist. Jeder Muskel, jede Bewegung, die der Körper sonst alleine macht, musste und darf ich ihm neu antrainieren. Doch mein Wille zu laufen war sehr stark und so nutzte ich fast jede freie Minute, um zu üben. Und dann musste ich ja irgendwie meinen Umzug organisieren und da zeigte sich erstmals, dass auf „angeblich gute Freunde“ nicht immer Verlass ist. Später mehr dazu.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Man hat irgendwie so weiterfunktioniert, wie es eben möglich war. Die große Anstrengung in allem habe ich zwar gemeistert, aber damals noch nicht gewürdigt. Für mich war es eher so: Zum Jammern habe ich jetzt keine Zeit. Der Schmerz wurde komplett ignoriert. Hier werde ich noch genauer an späterer Stelle darauf eingehen. Wie heißt es so schön: Wir erkennen und verstehen die Dinge meist im Nachhinein. Das schönste Gefühl in der kurzen Zeit zu Hause war mal wieder, seine eigenen Sachen zu sehen, klingt banal, aber war doch einfach schön. Die sexy Dessous im Krankenhaus sind leider sehr monoton. Ein weiteres Highlight war natürlich meine Perserkatze Luna! Als sie mich sah, maunzte sie und ihre Freude erklang dabei heraus – so schön, so herzerwärmend.

Und so ging es auch bald weiter zur Reha Phase zwei. Demnächst gibt es mehr davon hier zu lesen. Ich freu mich auf Dich.