FREUDE, FREIHEIT UND DANN OP NR. 3:
ANGST, SCHOCK, DRAMA
Oder die Frage: „Was erschaffe ich mir da?“
Gut, OP Nr.2 hatte ich gut überstanden und konnte mein Training auch bald wieder aufnehmen, was dazu führte, dass ich nun soweit war, um an Nordic Walking-Stöcken zu laufen. Ich gewann zusehends mehr Sicherheit und war der glücklichste Mensch auf Erden. Welch ein Geschenk zu Weihnachten, das ja nun bald bevorstand. Ich war so stolz auf mich und meine Leistung, immerhin war meine Hirnblutung ja grade mal ein halbes Jahr her. Allerdings waren da noch diese trüben Gedanken, die Angst vor der nächsten OP im Januar! Ganz gekonnt und geübt war ich damals ja noch „Die Meisterin des Verdrängens“. Bloß keine Angst und Schwäche zeigen, dies hatte ich ja von klein auf mit in die Wiege gelegt bekommen. So blendete ich meine Angst erstmal aus, denn das konnte ich perfekt. Okay, ich hörte mich um, ob es jemanden geben könnte, der mich in Essen etwas unterstützen und mir beistehen könnte. Es gestaltete sich diesmal schwierig, doch dann sagte mir eine Freundin zu, nach der OP vorbeizukommen. Erleichterung machte sich in mir breit. Ich war so dankbar. Diese Vorstellung, wieder alleine dorthin und dann dazuliegen, war für mich echt die Hölle. Die Angst wird ja auch noch geschürt, wenn du da deine OP-Papiere unterschreiben musst. Dort steht dann fett gedruckt am Ende bei den Risiken neben Schlaganfall und diversen anderen Dingen, der Passus „BIS ZUM TOD“! Das ließ mich jedes Mal erstarren, wenn ich nur daran dachte.
Nun gut, es war ja nun noch etwas Zeit bis zur nächsten OP, und ich versuchte mich irgendwie wieder ins Leben zurückzubringen. Und dann hörte ich von meiner Cousine, das in dem Haus, in dem ich zuvor (bis 2010) gelebt hatte, eine Wohnung frei werden würde. Ja genial, dachte ich, nix wie dahin. Meine Möbel standen ja alle in einer Garage und da wurden sie ja auch nicht besser. Perfektes Timing, dachte ich, und war überglücklich, dass mein ehemaliger Vermieter mich wiederaufnehmen wollte. Ich fand es schon witzig, das ich ausgerechnet in dem Haus wieder unterkommen durfte. Ich war natürlich froh, da mir dort alle sehr vertraut waren. Ich klärte alles ab, da ja noch die dritte OP bevorstand und wie immer danach eine Reha. Alles kein Problem, und endlich schien alles wieder gut zu werden. In der Wohnung meiner Mutter war es doch ziemlich eng für uns beide, und so nah dabei könnte sie täglich vorbeischauen, falls Hilfe nötig wäre. Wunderbar, dachte ich, und vergaß zudem meine ganzen Ängste und Sorgen. Silvester verbrachte ich mit guten Freunden, und so schien im Neuen Jahr alles besser zu werden.
DENKSTE !!!
Mitte Januar hatte ich ja nun meinen dritten OP-Termin. Mein Taxiunternehmen, mit dem ich immer fuhr, holte mich nun ab. Meine Intuition sagte mir noch „Ach, nimm den Rollstuhl lieber mit, wer weiß, wie es dir hinterher geht!“ Angekommen in Essen, kannte ich nun wenigstens schon den Ablauf. Erst einmal anmelden, dann auf Station, Untersuchung, Aufnahme und dann wieder runter zur Narkosebesprechung und dem Gespräch mit dem Oberarzt. Dieser zeigte mir wieder an dem großen Flatscreen, wie weit sie mit dem Gefäßverschluss vorangekommen seien. Ein Kabelsalat da oben im Hirn, phänomenal! OKAY, ich vertraute, denn ich selbst habe nicht Medizin studiert, und woher soll man alles wissen. Und zum Ende hin schiebt er mir wieder diesen Zettel zu … Ich spürte, wie sich alles in meinem Körper zusammenzog, doch was nützt es, dachte ich, Augen zu und durch! Da springt mir dieser fett gedruckte Satz bis zum Tod sofort wieder ins Auge! Gut, ich setzte dann schnell meine Unterschrift darunter und war heilfroh, diesen Teil hinter mich gebracht zu haben.
Abends bekommt man Gott sei Dank schon etwas zur Beruhigung, doch ich fühlte mich so aufgewühlt wie nie zuvor. Am nächsten Morgen dann der erste Gedanke und die Frage, die einem im Kopf schwirrt: „Wann stehe ich auf der Liste? Das heißt: Wann komme ich in den OP? Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht mehr, wann ich an dem Tag dran kam, ich erinnere mich nur noch an die Höllenangst in mir. „Sexy Dessous“ angezogen, schickes Mützchen aufgesetzt, so ging es dann ab in den OP. Vom Bett auf den Tisch gekrabbelt, Kanüle gesetzt bekommen – ich erinnere ich mich noch daran, dass ich mit aller Gewalt nicht einschlafen wollte. Als der Pfleger an mir verzweifelte, jemand anderes kam und mir etwas nachspritzte, war ich wohl dann bereit einzuschlummern. Und dann riefen Stimmen meinen Namen, nicht einmal, zweimal, immer wieder und ich blinzelte durch meine Augen. Wo bin ich? Was ist passiert? Nie zuvor habe ich so gefroren und am ganzen Leib gezittert! Eine komische Decke auf meinem Bett, wo von vorne Luft rein gepustet wurde, erkannte ich. Es sah aus, als stände ein Staubsauger vor meinem Bett. Die Augen, die mich sichtlich erleichtert anschauten, waren die der Schwester. Sie erklärte mir, ich sei auf der Intensiv-Station. Dieser komische Apparat sei dazu da, um mein Körper wieder auf Normal-Temperatur zu bringen, denn bei der OP wird das ganze System runtergekühlt, was ich bis dato auch nicht wusste und zuvor nie mitbekommen hatte. Ich nahm das so wahr, war jedoch viel zu schwach, um überhaupt zu sprechen. Mein erster Instinkt jetzt, wo ich da wach war: „Jetzt ist was ganz Schlimmes passiert!“ Zumal sich auch die Frage stellte „Wieso liege ich diesmal auf der Intensiv-Station?“ Alle anderen OPs zuvor kam ich immer einen Tag auf die Überwachungsstation, hmm, komisch.
Dann nach einer Weile öffnete sich die Zimmertür und meine Freundin Mareike kam herein. Oh, welch Freude, nun begann ich erst einmal zu heulen, und das nicht zu wenig. Ein Strom, ein Meer von Tränen, wollte da abfließen. Freude, dankbar, jemand Vertrautes zu sehen, diese Gefühle in dem Moment waren so überwältigend schön. Auf Nachfrage über den Verlauf der OP wurde nur gesagt:„ Alles in Ordnung!“ Doch nichts war in Ordnung!!! Ich spürte in meiner linken Hand und dem linken Fuß ein nie zuvor dagewesenes Kribbeln! Meiner Freundin wurde auch nichts weiter mitgeteilt. Dann folgte wie immer zwei, drei Tage später ein MRT zur Kontrolle und am vierten Tag folgt meist die Entlassung. Die Betten werden ja schließlich gebraucht für den nächsten. Ich jedoch spürte, das irgendwas nicht stimmte, und irgendwie wollte kein Arzt darauf eingehen. Der Oberarzt meinte, ich solle erst mal eine Pause einlegen, und wir würden uns im Herbst wiedersehen! Denn das Gefäß war immer noch nicht zu 100% verschlossen. Allein diese Nachricht war schon wieder Hölle. Ebenso die Art und Weise, wie da mit Mensch umgegangen wird; sorry, aber das muss einfach mal in der Öffentlichkeit gesagt werden. Da kommt natürlich ein Physiotherapeut, der dich nach drei Tagen Liegen aus dem Bett holt und klar man ist ja schwach nach so einer OP, also kein Grund, meiner Besorgnis nachzugehen. Was letztlich passiert ist bei der OP weiß ich bis heute nicht!!! Ich vermute einen Schlaganfall! Denn wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, haben sie mir dort meine ganze linke Seite lahmgelegt!!! Das hieß konkret für mich: wieder bei NULL anfangen. Ich glaube, ich muss niemandem sagen, wie man sich da fühlt!!! Tja, und jetzt hatte ich die Wohnung schon in Aussicht, und und und … Nächstes Mal mehr.
Was ich heute, drei Jahre später, sagen kann: Die Angst wollte mir ein guter Wegweiser sein, doch ich habe sie komplett ignoriert. Wer nicht hören will, darf fühlen! So habe ich die Lektionen der Angst so lernen dürfen auf meinem Weg.